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Was ist ALTER VOCALIS EGO (oder kurz: AVE, wie der lateinische Gruß und Segen)?


AVE versteht sich als ein künstlerisches Konzept-Projekt, in dem es um kreativen Ausdruck "göttlichen Wahnsinns" geht. Die aus dem Projekt hervorgehenden Arbeiten und Veröffentlichungen können dabei vielerlei Gestalt und Form annehmen, ohne sich von herkömmlichen Grenzen bzw. Konventionen eines Genres, eines Themengebietes oder einer Disziplin (z.B. Kunst, Wissenschaft, Religion, Politik, Philosophie sowie zahllosen Teilbereichen) beschränken zu lassen. Augenzwinkernder Humor und eines Narren Seligkeit sind durchweg leitende Motive aller Aktivitäten.



Was ist "göttlicher Wahnsinn" ?  

In der Antike wurden unterschiedliche Arten des sogenannten göttlichen Wahnsinns (oder auch "Segnungen des Wahnsinns") beschrieben und definiert. Allerdings ist etwas, das irgendwann von irgendwem mal niedergeschrieben wurde, für AVE im Grunde völlig nebensächlich. Es kann zwar als Inspiration, Orientierung und Bezugspunkt dienen (und wie im Folgenden zum Zwecke der Darlegung und Verständigung sehr hilfreich sein), letztendlich steht aber die individuelle Perspektive hier und jetzt im Zentrum des Projektes – frei nach der ebenfalls schon antiken Einsicht, dass der Buchstabe tötet, der Geist hingegen lebendig macht und weht, wo immer er will.
Die Essenz bzw. das Wesentliche des berauschenden, belebenden und hochgradig inspirierenden göttlichen Wahnsinns ist aus AVEs Sicht die Erkenntnis radikaler Freiheit, die Erfahrung befreiender Entgrenzung und das damit einhergehende Gefühl des Triumphes; man könnte es in Anlehnung an kulturelle Traditionen auch dionysisch oder das Dionysische nennen.

Wie und in welchen Bereichen AVE zeitweise vorrangig aktiv ist, hängt von den aktuellen Lebensumständen und Interessen seiner Mitglieder und anderweitig Involvierter ab.
Es geht im Kern weniger um die konkrete Form der jeweiligen Arbeit, als viel mehr um den spielerisch-kreativen Prozess, die anarchische Geisteshaltung, das freiheitliche und ekstatisch-befreiende Lebensgefühl:

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  • (Fresko in der Villa dei Misteri)
  • (Fresko in der Villa dei Misteri)
  • (Aurora Consurgens, 16. Jh.)
  • (Aurora Consurgens, 16. Jh.)
  • (Aurora Consurgens, 16. Jh.)
  • (Aurora Consurgens, 16. Jh.)
  • (Aurora Consurgens, 16. Jh.)
  • (Aurora Consurgens, 16. Jh.)
  • (Aurora Consurgens, 16. Jh.)
  • (Splendor Solis, 16. Jh.)
  • (Rosarium Philosophorum, 16. Jh.)
  • (Fresko in der Villa dei Misteri)
  • (Aurora Consurgens, 16. Jh.)
  • (Attisch-schwarzfiguriger Teller, 6.Jh.v.Chr.)
  • (Das Buch der Heiligen Dreifaltigkeit,15. Jh.)


Als wichtigste Inspirationsquellen und vielleicht konzeptionellen 'Rahmen' – wobei die einschränkende, begrenzende Bedeutung dieses Wortes hier irreführend ist – gelten AVE die mythischen Figuren des griechischen Gottes Dionysos und seines 'Propheten' Orpheus (der traditionell als Urheber dionysischer Geheimlehren gesehen wurde), Dionysosvorstellungen der Romantik (Friedrich Hölderlin) sowie auch verschiedene moderne Interpretationen des  'Dionysischen', die vor allem von Friedrich Nietzsche (und seinen z.T. sehr unterschiedlichen Nachfolgern, z.B. Georges Bataille) geprägt wurden: 

"Was aus Liebe getan wird, geschieht immer jenseits von Gut und Böse… 
Es ist immer etwas Wahnsinn in der Liebe. Es ist aber immer auch etwas Vernunft im Wahnsinn...
Und welche Bedeutung hat dann [...] jener Wahnsinn, aus dem die tragische wie die komische Kunst erwuchs, der dionysische Wahnsinn? Wie? Ist Wahnsinn vielleicht nicht notwendig das Symptom [...] des Niedergangs…?  
[Es war] gerade der Wahnsinn [...], um ein Wort Platos zu gebrauchen, der die größten Segnungen […] gebracht hat... 
Das Ja-Sagen zum Leben selbst noch in seinen fremdesten und härtesten Problemen [...] – das nannte ich dionysisch, das erriet ich als die Brücke zur Psychologie des tragischen Dichters ... ich, der letzte Jünger des Philosophen Dionysos." 
(Friedrich Nietzsche) 

Fresko in der Villa dei Misteri (Detail)

Betont wird in dem Projekt die Verbindung des Dionysischen und Orphischen mit Themen und Motiven des Phantastik- bzw. Horror-Genres, da die Ästhetik des Horrors – die in der mythischen und tragischen Dichtung der Antike ihren Ursprung hatvon AVE als ein genuiner Ausdruck des Dionysischen gedeutet wird.  "Man denke nur an die Tragödie, an Shakespeare, und es gibt eine Vielzahl solcher Aspekte; [...] [es ist] die Literatur, die uns das Schlimmste zu sehen erlaubt und uns gleichzeitig zeigt, wie man ihm die Stirn bietet, wie man es überwindet. Ein Mensch, der spielt, findet im Spiel immer auch die Kraft, das zu überwinden, was das Spiel an Horror mit sich bringt." (Georges Bataille)  

Als bedeutsam prägende Einflüsse der Ästhetik des Horrors in neuerer Zeit sind in erster Linie die Altmeister der phantastischen und unheimlichen Literatur zu nennen, allen voran Edgar Allan Poe: "Es ist noch die Frage, ob der Wahnsinn nicht die erhabenste Geistigkeit bedeutet, ob nicht vieles Glorreiche und alles Tiefe seinen Ursprung [...] in dem besonderen Wesen eines Zustandes hat, der auf Kosten des allgemeinen Verstandes aufs äußerste, und zwar einseitig, erregt ist. Die Menschen, die am hellen Tage träumen, lernen Dinge kennen, die denen entgehen müssen, die nur nachts träumen. Durch den grauen Nebel ihrer Visionen dringen flüchtige Schimmer der Ewigkeit zu ihnen, und halberwachend fühlen sie mit Schaudern, dass sie einen Augenblick lang an das große Geheimnis gerührt haben. Ruckweise erfassen sie einiges von der Weisheit, die gut, und vieles von bloßem Wissen, das schlecht ist." (E. A. Poe) 


Ganz im Sinne des orphisch-dionysischen Konzeptes gilt ein besonderes Augenmerk der vielfältigen Ausgestaltung und Interpretation der sogenannten orphischen Liebe, d.h. einer tragischen Liebe, die sich mehr oder minder an dem antiken Mythos von Orpheus und Eurydike als Vorbild orientiert. Aus allegorischen Gründen arbeitet AVE allerdings ausschließlich mit 'Happy End'-Versionen des Mythos, da dieser in engem Zusammenhang mit dem religiösen Motiv der Heiligen Hochzeit sowie der Coniunctio (bzw. dem Mysterium Coniunctionis) aus der Vorstellungswelt der Alchemie gedeutet wird.

C. G. Jung zufolge ist die Coniunctio die "Zentralidee" der alchemistischen Prozedur: "[Es geht] um eine letzthinnige Vereinigung der Substanzen." Das zu Vereinigende wird dabei als Gegensatzpaar dargestellt, wie z.B. Mann und Frau, Gott und Göttin, Rot und Weiß (bzw. Roter Mann und Weiße Frau oder roter Meersand und Sputum des Mondes), Körper und Geist. Aus der "klassischen alchemistischen Trinität ergibt sich die Beziehung von Mann und Frau als der supreme und essentielle Gegensatz. […] Die Verbindung der Elemente und die schließliche Synthese des Männlichen und des Weiblichen [bedeutet] eine Leistung der Kunst: ein Produkt bewußter Bemühung."

Aurora Consurgens, 16. Jh.

Die Coniunctio findet statt im vas naturale, d.h. im 'Gefäß der Natur'. "Das Gefäß wird auch als Grab bezeichnet und die Vereinigung als ein gemeinsamer Tod. Dieser Zustand wird 'Sonnenfinsternis' genannt."
Karl Kerényi zitierend nimmt Jung schließlich auch Bezug auf antike Vorstellungen der Heiligen Hochzeit (Hierogamie): "Zu den Grundanschauungen der antiken Mysterien aber gehörte eben die Identität von Hochzeit und Tod einerseits, von Geburt und ewigem Hervortreten des Lebens aus dem Tode andererseits."
(C. G. Jung: Mysterium Coniunctionis, zweiter Halbband, Ostfildern 2011, S. 228-233)

Der Literaturwissenschaftler Hans Richard Brittnacher schreibt über die künstlerische und recht ambivalente Behandlung der orphischen Liebe bei Poe: "Keiner hat sich des Themas [...] mit größerer Inbrunst angenommen als E. A. Poe, dessen Philosophy of Composition eine poetologische Rechtfertigung des morbiden Motivs entwickelt, die in dem berühmten Satz gipfelt: »Der Tod einer schönen Frau ist also fraglos der dichterischste Gegenstand auf Erden.« [...] Hinter dieser Formulierung steht ein ästhetisches Konzept, das den weiblichen Tod in Analogie zum Schaffen eines Kunstwerkes setzt – der Tod der Frau wiederholt »die ambiguöse Forderung der Kunst, lebende, beseelte Materie in nicht belebte Form umwandeln zu müssen« [...]. [Er] wird zum Anlass, Phantasien der Liebe und Etüden auf ihr Verschwinden zu formulieren – aber während die männlichen Dichter das Hohelied der Liebe singen, müssen sie sich noch das Blut ihrer Opfer von den Lippen lecken." (H. R. Brittnacher: Ästhetik des Horrors, Frankfurt/Main 1994, S. 169f.)

Band- bzw. Projektbiographie
Oder: Wie kommt man auf sowas?

AVE wurde von "Frater F." als Solo-Projekt zu einem Zeitpunkt ins Leben gerufen, als er noch vorwiegend im Dark Wave- bzw. Gothic-Genre als Live- und Studiomusiker u.a. für die Band Persephone tätig war. Tobias Hahn, Bandmitglied von Janus und Persephone (und außerdem Produzent u.a. von L'Âme Immortelle und Sopor Aeternus & The Ensemble Of Shadows), machte den Vorschlag, Frater F.s Songs in seinem gemütlichen, einschlägig bekannten "Nachtschicht-Studio" gemeinsam aufzunehmen und zu produzieren, wobei für das Album "AVE" dann auch weitere (Ex-) Mitglieder von Janus, Persephone und Sopor Aeternus & The Ensemble Of Shadows als Gastmusiker zum Zuge kamen. 

In den folgenden Jahren widmete sich Frater F.  in erster Linie diversen Studien in Berlin und seiner Tätigkeit als studentische Hilfskraft in den DFG-Projekten "Transformationen der Antike" (SFB 644, Teilprojekt B8: "Der differente Gott. Konstruktionen des Dionysos in der Moderne") und "Ästhetische Erfahrung im Zeichen der Entgrenzung der Künste" (SFB 626, Teilprojekt C7: "Inspiration und Subversivität. Künstlerische Kreation als ästhetisch-religiöse Erfahrung").  

Nach einer internationalen Dionysos-Tagung kam es bei der anschließenden Feier mit viel gutem Wein zu dem schicksalhaften Zusammentreffen Frater F.s mit "Lector Z.", als dessen Folge die Idee geboren wurde, AVE in der Form zu konzipieren, in der es mehr oder weniger konstant bis heute besteht.

 Komplettiert wurde das Ganze im Laufe der Zeit schließlich durch eine wechselnde Besetzung von Gastmusikern und -künstlern; die Segnungen des Wahnsinns nahmen ihren Lauf.  

Zuletzt arbeitete Frater F. zwei Jahre in der Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU) in direktem Kontakt zu Oppositionellen, Dissidenten und Künstlern der DDR. Die Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur und den Ereignissen der friedlichen Revolution von 1989/90 gab dem Projekt AVE die Gelegenheit, eine ganz konkrete (freiheitlich/revolutionär-politische) Dimension des Dionysischen einzubeziehen, die buchstäblich greif- und fassbar ist im lebenspraktischen Prozess der Aufklärung und Aufarbeitung: "Weltweit erstmalig wurden Akten einer Geheimpolizei geöffnet. Sie sind Belege für erlebtes Unrecht und ein Denkmal der Revolution. Das kann man nicht wegwischen, sondern muss es hochhalten. [...] Die Frage nach der individuellen Verantwortung ist die Brücke in die heutige Zeit. Jeder sollte sich fragen können: Wie hätte ich mich verhalten und wie entscheide ich mich heute, welche Verantwortung trage ich für das, was in unserer Gesellschaft geschieht? [...] Alles ist möglich. Das haben uns Mauerfall und deutsche Einheit gezeigt." (Roland Jahn, Den Zeitpunkt der Versöhnung bestimmen die Opferin: Der Tagesspiegel [19.06.2016], URL: http://www.tagesspiegel.de/berlin/bundesbeauftragter-fuer-stasi-unterlagen-roland-jahn-den-zeitpunkt-der-versoehnung-bestimmen-die-opfer/13754116.html, abgerufen am 09.09.2019)


Mehr über AVE und weiterführende Links gibt es auf den Seiten Releases & Downloads und Presse & Interviews.